Gehalten auf der “a monday without you”-Demo am 4. Juli 2016.
Heute ist der erste Montag im Juli 2016. In der Leipziger Innenstadt ist alles vorbereitet: Die Gitter stehen, dazwischen laufen ein paar Hundert Rassist*innen eine Strecke und werden von ebenfalls ein paar Hundert Zaungästen durch mehrere Polizeiketten hindurch beschimpft. Die Polizei beäugt die Zaungäste, denn manchmal gibt es eine Lücke im Zaun, und dann müssen die BeamtInnen wieder eine Umleitung für die Rassist*innen einrichten. Das nervt dann, aber immerhin können so wieder ein paar Dutzend “linksextreme” Straftaten registriert und geahndet werden. Am Dienstag werden wir dann wieder feststellen können, dass auf der richtigen Seite der Gitter ein wenig mehr Menschen standen, was dann ein Erfolg ist. Sollte es wieder ein halbseitige Straßenblockade geben, sind auch die dann fälligen Repressions-Nachwehen ein Erfolg.
Klingt zynisch? Ist es auch.
Anderthalb Jahre nach Beginn der Legida-Aufmärsche ist alles nur noch Routine. Es ist nicht gelungen, über den Status eines Gegenprotests hinaus zu gelangen. Hätte es an dieser Stelle vor einem Jahr noch geheißen, dass das durchaus mit den in Leipzig wie in ganz Sachsen überdurchschnittlich harten Vorgehen der Repressionsorgane zu tun hat, müssen wir heute feststellen, dass etwas anderes als die Inszenierung von “Willkommenskultur” und einem “besseren Deutschland” von den Akteur*innen des Gegenprotestes anscheinend nicht gewollt ist. Und das ist noch viel unerträglicher, als einmal im Monat halb gelähmt dem Treiben der Rassist*innen auf offener Straße zuzusehen.
…gegen sächsische Zustände
Überhaupt: “In Leipzig wurden Dresdner Zustände verhindert”. Diesen Satz musst du dir oft anhören, wenn Menschen ein positives Fazit aus anderthalb Jahren “Legida und Proteste” (der im Nachhinein sehr passende Titel des LVZ-Dauerspecials) zu ziehen versuchen. Doch das stimmt nicht. Auch in Leipzig ist es den RassistInnen gelungen, ein regelmäßiges Happening zu installieren und von dort aus z.T. effektiv gegen Gegner*innen vorzugehen oder Angsträume zu schaffen.
Auch in Leipzig werden Geflüchtete bevorzugt in Lagern und Massenunterkünften gehalten, mit wenig bis gar keiner Aussicht auf ein mittelfristig menschenwürdiges Leben in unser aller Mitte. Leipzig ist beinahe ungestört der Dreh- und Angelpunkt der rassistischen Abschiebepraxis in Mitteldeutschland.
Diese Zustände sind keine regional abgrenzbaren Phänomene, sondern Ergebnis einer auf breite Zustimmung stoßenden Politik der Ausgrenzung von “Nicht-Deutschen”. Eine dem Ende entgegengehende “Willkommenskultur” wirkt spätestens jetzt eher als Imagepflege denn als Versuch, dieser Politik der Ausgrenzung etwas entgegenzusetzen. Anders ist es nicht zu interpretieren, wenn die Bundesregierung unter praktischer Mitwirkung von SPD und Grünen ein rassistisches Gesetz nach dem anderen verabschiedet und letztere insgesamt gut damit leben, dass sie durch die Beteiligung einiger ihrer Vertreter*innen an Brückenfesten, gemeinsamem Fastenbrechen oder ähnlichen Veranstaltungen nicht als das wahrgenommen werden, was sie sind: Den rassistischen Status Quo weiter verschärfende Akteure.
Unter dieser Blickrichtung und der jahrelangen Kontinuität dieser Politik der Ausgrenzung und Kategorisierung ist es nur noch fadenscheinig, wenn sich Protest darin ergeht, vor einer “Diskursverschiebung nach rechts” zu warnen. So als wäre das Problem eine Veschiebung nach rechts, statt einem seit langem von den meisten bereits stramm rechts, bestenfalls neoliberal geführtem Diskurs. Als ob das Problem ein Diskurs wäre anstatt konkrete rassistische Politik, die Brandstifter*innen in ihrem Tun und Handeln quasi den Weg ebnet.
Teil des Problems ist da eher schon eine linke antirassistische Szene bzw. Bewegung, die zusammen mit Rassist*innen und Politiker*innen aller Parteien “Willkommensfeste” feiert, um am Image des “freundlichen und weltoffenen Deutschlands” zu basteln. Dieser Leipziger Kuschelkurs seitens der radikalen Linken ist kein zufälliger Kontrast zur politischen Situation in Hamburg, Berlin, im Ruhrpott oder sonstwo. Er ist ganz offensichtlich Ausdruck der sächsischen Verhältnisse.
…gegen die Toleranz der Mitte
Einen antirassistischen Protest, der in seiner Kritik der eigenen Analyse nicht gerecht wird, können wir nicht unterstützen. Das Eintreten für eine befreite, inkludierende Gesellschaft erfordert einen Bruch mit Mechanismen, Diskursen und Personen, die Menschen in nützlich und nicht nützlich einteilen. Die Menschen in deutsch und nicht-deutsch einteilen. Die Menschen in normal und unnormal einteilen. Diese Diskurse und Kämpfe sind nicht getrennt voneinander zu betrachten, und wer Menschen in derartige Kategorien unterteilt, wird von uns bekämpft.
Es ist an der Zeit, dass auch eine radikale Linke diese Diskurse nicht zum Zweck einer Bündnisfähigkeit opfert. Vielmehr möchten wir Bündnisfähigkeit über das Aushandeln von Positionen, über Diskussion herstellen. Auch wenn das stellenweise Streit erfordern sollte. Wer sich allen anderen Kämpfen entziehen möchte, kann es auch mit dem Antirassismus nicht ernst meinen.
…und die Gründe für die Wut gibt es noch immer
Wenn die erste Hälfte von 2016 eines gezeigt hat, dann die Tatsache, dass die Unterstützung von Geflüchteten und der Kampf gegen Rassist*innen selbst gemacht werden muss. Antifaschistische Arbeit bleibt unerlässlich. Die verschiedenen Ebenen sind dabei vielschichtig und oftmals kräftezehrend. Das permanente kritische Hinterfragen von lokaler bis bundesweiter Politik, Recherche im Netz und auf der Straße und jede Woche mehrere Kartoffelaufläufe, denen entgegengetreten werden muss.
Wenn wir heute gegen rechte Strukturen und ihre Akteure auf die Straße gehen, darf konsequenter Antifaschismus nicht beim Kampf gegen Nazis, Rassist*innen und Sexist*innen an diesem Tag aufhören, sondern muss sich auch mit den Ursachen auseinandersetzen und die befreite Gesellschaft zum Ziel haben. Erreichbar ist diese nur durch radikale Kritik und Praxis gesellschaftlicher Verhältnisse, die jedoch immer aufs Neue formuliert und dem gesellschaftlichem Wandel entsprechend weiterentwickelt werden muss. Gleichzeitig ist es aber auch die Erkenntnis, unsere Kämpfe gegen die unterschiedlichen Formen von Ausgrenzung, Benachteiligung und Ausbeutung zu verbinden. Diese Kämpfe, die auch in den eigenen Köpfen und Strukturen stattfinden und nicht ohne Widersprüche und Brüche auskommen, richten sich u.a. gegen das Patriarchat, Heterosexismus, Rassismus, Körpernormen sowie die Konkurrenz- und Leistungsgesellschaft.
Nehmen wir diese Kämpfe an. Nehmen wir sie gerne gemeinsam an. Doch lassen wir sie nicht für einfaches Appeasement verwässern oder verkürzen.
Für einen konsequenten Antifaschismus!